Partizipation: Das Rechtsleben im Kindergarten

Wenn Anteilnahme, Teilhaftigkeit, Beteiligung  Erziehungsziele sein sollen, dann trifft es die Bemühungen in unserem Kindergarten. Soll aber das Kind einst diese Fähigkeiten als ein selbstbestimmender und verantwortlicher Mensch und als ein demokratischer Mitbürger später im Leben zur Verfügung haben, müssen sie angelegt und gepflegt werden. Vor allem müssen sie reifen können. Was zu frühe Mitbestimmung im falschen Sinn bewirkt, ist als die negativen Folgen antiautoritärer Erziehung bekannt. Zu demokratischen Entscheidungen gehört mehr als die Lust, ein „Bestimmer“ zu sein und intellektueller Vorwitz, nämlich echter Überblick, auch über die Folgen der Entscheidung für  andere.

Das vermögen Kinder im Kindergartenalter gewiss noch nicht. Lässt man sie mitentscheiden, dann ist es ein Spiel. Und das darf es dann sein. Etwas anderes hineinzulegen, etwa die frühe ernsthafte Erübung von Demokratiefähigkeit, setzt eine Interpretation voraus, die allein unsere erwachsene Deutung ist, jedoch nicht der seelischen Wirklichkeit des Kindes entspricht. Ist mit Partizipation aber Interesse an der Welt und an anderen Menschen gemeint, dann wird dieses nach unseren Erfahrungen allein hervorgerufen durch das individuell geübte Interesse an dem Kind selbst. Nur der, an dem Interesse  wahrhaftig gezeigt wurde, vermag diese Anlage in sich zu entfalten. Dem kommt entgegen die Auffassung von Selbsterziehung, die wir von dem deutschen Philosophen Johann Gottlieb Fichte übernommen haben: „Niemand wird kultiviert, sondern jeder hat sich selbst zu kultivieren. Alles bloss leidende (d.h. passive, von aussen bestimmte) Verhalten ist gerade das Gegenteil der Kultur. Bildung geschieht durch Selbsttätigkeit und zweckt auf Selbsttätigkeit ab.

Diese Worte nicht als eine ideologische Schablone zu nehmen, sondern täglich und stündlich zu praktizieren, setzt ein immer neu zu entwickelndes Taktgefühl voraus. Dieses hat in der Empfindung zu unterscheiden, welcher Teil des Kindes in diesem Augenblick  – auch ohne Worte – zu fragen ist, was es braucht und will. Und welcher Teil einer festen Führung bedarf, um dahin zu kommen, wohin es aus eigenem Willen nicht kommen kann, ohne  in die Irre zu gehen. Diesen Gedanken, die aus unserer langjährigen täglichen Erfahrung stammen, wirklich und mit innerer Wahrhaftigkeit gerecht zu werden, ist unser Bemühen, worin wir Mitarbeiter uns  einig sind. Denn was wir den Kindern entgegenbringen, soll auch zu allererst die Haltung unter uns Erwachsenen sein: das von einander lernende Interesse. Selbsterziehung des Kindes entzündet sich nur an der Selbsterziehung des Erwachsenen.

Das Rechtsleben in unserem Kindergarten 

Wir haben verstanden, dass der Text über die Sicherung der Rechte von Kindern  innerhalb des Orientierungsplanes in Baden Würtemberg entstanden ist aus der Gesamtheit der Problematik aller Kindergärten, die verschiedenste pädagogische Ansätze und Erfahrungen haben. Unser Kindergarten ist klein, hat durch seine besondere Pädagogik  meist Eltern und Kinder, die sich von vorneherein auf diese Pädagogik einstellen. Da ein kleiner Kindergarten auch nicht die institutionelle Autorität einer grossen Einrichtung ausstrahlt,  haben wir die Erfahrung gemacht, dass Konflikte oft entstehen, wenn man zu prinzipiell vorgeht, ja dass sie  nicht selten fast unlösbar werden, sei es unter und mit den Kindern oder im Verhältnis zu den Eltern. Das einzige Mittel ist dann, gemeinsam ein Taktgefühl zu entwickeln, um einen menschlichen und damit rechtlichen Ausgleich zu finden.

Durch das Zusammensein in einem kleineren Kreis bildet sich  ein eher familiäres Milieu mit allen Vor- und auch Nachteilen bezüglich des rechtlichen Umganges miteinander. Der Vorteil ist ein leichteres Erreichen des persönlichen Vertrauens, der Nachteil kann  eine sich einstellende Distanzlosigkeit sein. Bei einem überschaubaren Elternkreis aus einer etwa gleichen Bevölkerungsschicht  ist es auch leichter zu beurteilen, ob ein Kind häuslicher Gewalt oder einem Missbrauch ausgesetzt ist. Diese Themen sind durch alle Jahre real bei uns nicht vorgekommen. Was das rechtliche Verhältnis zwischen Kindern und Erziehern betrifft, sind  unsere Kinder es gewohnt, offen auszusprechen, was sie als gerecht oder als ungerecht empfinden. Es wird dem stattgegeben, was dem Einzelkind und der Gesamtheit der Gemeinschaft in der jeweiligen Situation zuträglich ist.

Wir haben Grund zur Annahme, dass das ständige Vorstellungsbewusstsein aller von aussen kommenden Forderungen rechtlicher Natur zu einer Lähmung der Fähigkeit führen würde, die allein diese Gerechtigkeit im Verhältnis zu den Kindern, den Mitarbeitern und den Eltern herbeizuführen vermag. Diese Fähigkeit ist die Empfindung für die jeweilige Situation, die immer ein Gleichgewichtsverhältnis fordert und frei von innen kommen muss. Das gilt für die Kinder wie für die Erwachsenen auch untereinander. Dieses bedingt eher die Entwicklung einer sozialen Kunst, was ein Teil uns Konzeptes ist, welches wir ständig weiter entwickeln. Das Richtmass unseres Handelns ist das Befinden des Kindes: fühlt sich ein Kind frei, dann ist es frei. Fühlt es sich gerecht behandelt, dann wird man ihm gerecht. Fühlt es sich geborgen, dann ist es am richtigen Platz. Damit sind die menschlichen Grundrechte erfüllt, welche die Französische Revolution einst gefordert hat. Den Kindergarten als einen Keim späteren sozialen Lebens zu sehen, ist für uns seit vielen Jahren eine gemeinsame Aufgabe. 

Diese Texte wurden innerhalb des Kindergartens Bienenkorb erarbeitet, finden aber die völlige Zustimmung der Leiterin der ehemaligen Brückenklasse der Freien Schule Elztal, Petra Altrieth, nunmehr als Die Brücke ein Teil der  Arbeitsgemeinschaft beider Gruppen.

 

Die Mitarbeiter der Arbeitsgemeinschaft

16. Mai 2013

Andreas Butz, Mervi Mansikkala, Werner Kuhfuss, Petra Altrieth

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